Raum und Zeit! Nun seh ich, daß wahr ist, was ich geahnt, Was ich geahnt, als ich schlenderte über das Gras, Was ich geahnt, als ich einsam im Bett lag, Und wieder, als ich am Strande ging unter den verblassenden Steuern des Morgens. Meine Fesseln und Ballast fall'n von mir ab, meine Ellbogen ruhen in Meeresbuchten, Ich säume Sierras, meine Handflächen bedecken Kontinente, Ich wandre mit meinen Gesichten. Zwischen den Häuserwürfeln der Stadt, in Blockhütten mit Holzknechten lagernd, Den Geleisen der Landstraße lang, die trockene Schlucht entlang und am Bette des Bachs, Jätend mein Zwiebelfeld oder Furchen hackend für Pastinaken und Möhren, Savannen durchkreuzend, durch Wälder mir Wege bahnend, Land messend, Gold grabend, Bäume umzirkend auf einem neu erworbnen Stück Land, Knöcheltief vom heißen Sande versengt, indes ich mein Boot schleppe den seichten Fluß hinab, Wo der Panther hin und her mir zu Häupten auf einem Aste schleicht, wo der Rehbock wütend den Jäger angeht, Wo die Klapperschlange auf dem Gestein ihre schlappe Länge sonnt, wo der Otter Fische frißt, Wo der Alligator in seinem zähen Warzenpanzer schläft an der Bucht, Wo der schwarze Bär nach Wurzeln und Beeren sucht, wo der Biber mit seinem Ruderschwanze den Schlamm patscht, Über sprossendes Zuckerrohr, gelbblütige Baumwollstaude, über den Reis im tiefgelegenen feuchten Feld, Über das spitzgegiebelte Farmhaus mit zackigem First und schlanken Güssen der Traufe, Über die Dattelpflaumen des Westens, langblättrigen Mais und zartblau blühenden Flachs, Über den Buchweizen weiß und braun, ein Brummer und Summer da mit den andern, Über das dämmrige Grün des Roggens, das sich im Winde schattig wellt, Berge erkletternd, vorsichtig mich hinaufziehend, an niedrigen rauhen Ästen mich haltend, Ausgetretenen Pfad im Grase gehend oder mich durch das Dickicht schlagend, Wo die Wachtel pfeift zwischen Weizen und Wald, wo die Fledermaus fliegt im Juliabend, wo der große Goldkäfer durch das Dunkel fällt, Wo der Quell aus den Wurzeln des alten Baumes springt und in die Wiese fließt, Wo die Rinder stehn und mit zuckender Haut sich die Fliegen abschütteln, Wo das Käsetuch in der Küche hängt, wo die Feuerböcke sich über dem Herdstein spreizen, wo Spinnweben in Festons von den Sparren hängen, Wo Dampfhämmer krachen, wo die Presse ihre Zylinder wirbelt, Überall wo das Menschenherz mit furchtbaren Krämpfen unter den Rippen schlägt, Wo der birnförmige Ballon hoch oben schwebt (ich schwebe selber darin und schaue gelassen hinab), Wo der Rettungskarrn an der Schlaufe geschleppt wird, wo die Hitze blaßgrüne Eier brütet im krausen Sand, Wo das Walfischweibchen mit seinem Kalbe schwimmt und es nie verläßt, Wo das Dampfschiff seinen langen Rauchwimpel hinter sich herzieht, Wo die Flosse des Hais wie ein schwarzer Span aus dem Wasser schneidet, Wo die halbverbrannte Brigg auf unbekannter Strömung treibt Und Muscheln an ihr schleimiges Deck anwachsen und unten im Raum die Toten faulen, Wo das dichtbesternte Banner weht an der Spitze des Regiments, Das langgestreckte Eiland hinauf, Manhattan zu; Unter Niagara, wo mir die Fälle übers Gesicht wie ein Schleier stürzen, Auf einer Türstufe, auf dem Aufsteigeblock aus hartem Holz, Auf der Rennbahn oder fröhlich bei Picknicks oder bei Tanz oder einer guten Partie Baseball, Bei Männergelagen mit saftigen Späßen, beißender Wildheit, Bulltänzen, Saufen, Gelächter, An der Apfelweinpresse, wo ich die Süße des braunen Breis koste, und den Saft sauge durch einen Halm Und beim Apfelschälen Küsse verlange für jede rote Frucht, die ich finde, Bei Musterung, Strandpartie, Kaffeekränzchen, beim Maishülseund Richtfest; Wo der Spottvogel seine wonnigen Kehllaute flötet, kichert, schreit, schluchzt, Wo der Heuschober steht in der Scheune, wo die Streu gemacht ist, wo die Zuchtkuh wartet im Stall, Wo der Bulle kommt, sein männliches Werk zu tun, wo der Hengst die Stute deckt, wo der Hahn die Henne tritt, Wo die Färse grast, wo die Gänse ihr Futter rupfen mit kurzen Rucken, Wo Abendschatten über die endlos einsame Steppe wachsen. Wo der Büffelherden kriechende Decke sich zieht über Meilen fern und nah, Wo der Kolibri glänzt, wo der Hals des langlebenden Schwans sich windet und biegt, Wo die Lachmöwe am Strande blitzt und ihr fast menschliches Lachen lacht, Wo Bienenkörbe stehn, auf grauer Bank im Garten gereiht, halbverborgen vom hohen Unkraut, Wo Halsband-Rebhühner schlafen im Kreis an den Boden gedrückt, die Köpfe hoch, Wo Leichenwagen durchs Bogentor eines Friedhofs fahren, Wo Winterwölfe bellen in Wüsten von Schnee und vereisten Bäumen, Wo der gelbe Kronreiher nachts an den Sumpfrand kommt, um Krabben zu fischen, Wo das Spritzen von Schwimmern und Tauchern den warmen Mittag kühlt, Wo die Grille ihre chromatische Pansflöte übt auf dem Nußbaum über dem Brunnen, Durch Zitronenund Gurkenbeete mit silbergeäderten Blättern, Durch die Salzlache und den Orangenhain, unter den Kegeln der Fichten, \Durch die Turnhalle, den verhangnen Salon, das Bureau und die öffentliche Halle; Voll Lust am Einheimischen und am Fremden, am Alten und Neuen, Am unansehnlichen Weib und am schönen, An der Quäkerin, wie sie die Haube ablegt und klangvoll spricht, An dem Lied des Chors in der weißgetünchten Kirche, An den ernsten Worten des schwitzenden Methodistenpredigers und am ergreifenden Feldgottesdienst; Die Schaufenster am Broadway den ganzen Morgen betrachtend, das Fleisch meiner Nase platt drückend an dicken Spiegelscheiben, Wandernd am selben Nachmittag mit hoch zu den Wolken gekehrtem Gesicht, einen Feldweg oder am Strand entlang, Meine Arme rechts und links um zwei Freunde gelegt und ich in der Mitte; Heimkehrend mit dem schweigsamen, dunkelwangigen Waldburschen (hinter mir reitet er in Schleiern des Abends), Fern von den Siedlungen spähend die Fährte des Wilds oder Spuren von Mokassins, Am Bett im Spital einem Fieberkranken sein Glas Limonade reichend, Dicht an der Leiche im Sarg, wenn alles still, mit Kerzenlicht sie beleuchtend; Reisend nach jedem Hafen auf Abenteuer und Tausch, Hastend mit dem Gedränge der Neuzeit, so zapplig und flink, wie nur einer, Heiß gegen den, den ich hasse, bereit, ihn niederzustechen in meiner Wut, Einsam um Mitternacht im Garten hinter dem Hause, meine Gedanken fern von mir, eine lange Zeit, Wandelnd über die alten Hügel Judäas, dem schönen gütigen Gott zur Seite, Sausend durch Raum und sausend durch Himmel und Sterne, Sausend zwischen den sieben Planeten, dem breiten Ring und den achtzigtausend Meilen des Durchmessers, Sausend mit Meteoren geschwänzt, Feuerbälle schleudernd wie sie, Tragend das wachsende Mondeskind, das seine eigene volle Mutter in seinem Bauche trägt, Stürmend, genießend, planend, liebend, warnend, Wieder zurück ins Glied mich reihend, erscheinend, verschwindend, Wandle ich solche Wege Tag und Nacht. Ich besuche die Obstgärten der Sphären und schau ihre Früchte an, Ich schaue auf Quintillionen reife und schaue auf Quintillionen grüne. Ich fliege den Flug einer strömenden, trinkenden Seele, Mein Kurs läuft tief unterm Lot. Ich verhelfe mir selber zu Körperlichem und Unkörperlichem, Keine Wache kann mir den Weg versperren und kein Gesetz mich hindern. Eine kleine Weile nur lasse ich meine Schiffe vor Anker gehn, Meine Boten kreuzen ständig draußen und bringen ihre Berichte zu mir. Ich gehe auf Jagd nach Polarfell und Seehund, spring über Spalten an eisengeschlagenem Stock, klammere mich ans splitternde Blau der Zacken. Ich erklettre den Topp, Setze mich spät in der Nacht in den Mastkorb, Wir segeln durch arktische See, es ist reichlich hell, Durch klare Luft blick ich rundum auf die wunderbare Schönheit, Die riesigen Eismassen treiben an mir vorbei und ich an ihnen, nach allen Seiten kann ich das Bild überschaun, Weißgipflige Berge zeigen sich in der Ferne, ich schick ihnen meine Träume entgegen; Wir nähern uns einem großen Schlachtfeld, wo wir bald mitkämpfen müssen, Wir passieren die riesigen Vorposten des Lagers, behutsam und lautlos gleiten wir ihnen vorbei, Oder wir ziehn durch die Vororte ein in eine große, verwüstete Stadt, Die Blöcke und Trümmer der Bauten mächtiger als alle lebenden Städte des Erdballs. Ich bin ein Freischärler, biwakiere an Wachtfeuern der Erobrer, Ich werfe den Bräutigam aus dem Bett und lege mich selber zur Braut, Ich drück sie an meine Schenkel und Lippen, die ganze Nacht. Meine Stimme des Weibes Stimme, der Aufschrei am Treppengeländer, Sie bringen mir meines Mannes Leiche herauf, triefend, ertrunken. Ich verstehe die großen Herzen der Helden, Den Mut von heute und je, Wie der Schiffskapitän das steuerlose, von Menschen wimmelnde Wrack des Dampfers sah, das der Tod auf und nieder jagte im Sturm, Wie er fest zugriff und nicht einen Zoll breit wich und treu blieb Tag und Nacht Und mit Kreide große Lettern schrieb auf ein Brett: „Seid ruhig, wir verlassen euch nicht!“, Wie er mit ihnen fuhr und lavierte drei Tage lang und nicht nachließ, Wie er die Treibenden endlich aufnahm, Wie die erschöpften Weiber in losen Kleidern aussahn, als man sie wegbootete vom Rand ihrer offenen Gräber, Und die verstummten Kinder mit altgewordnen Gesichtern, die emporgehobenen Kranken und unrasierten, scharflippigen Männer; All das saug ich in mich, es schmeckt mir gut, wird mein, ich habe es gern, Ich bin der Mann, ich litt, ich war dabei. Die Weltverachtung und Ruhe von Märtyrern, Die Mutter von einst, als Hexe verdammt, verbrannt vor den Augen der Kinder auf dürrem Holz, Der Sklave, mit Hunden gehetzt, vom Laufen erschöpft, an den Zaun gelehnt, keuchend, bedeckt mit Schweiß, Die Stiche wie Nadeln an Beinen und Hals, die mörderischen Rehposten und Kugeln, All das fühle oder bin ich. Ich bin der gehetzte Sklav, ich krümme mich unter den Bissen der Hunde, Höll und Verzweiflung über mir, Krach auf Krach die Schüsse der Jäger, Ich umkrampfe die Pfähle des Zauns, mein klumpiges Blut tropft, verdünnt vom Schweiß meiner Haut, Ich falle auf Unkraut und Steine, Die Reiter spornen die sträubenden Pferde, reißen sie dicht an mich heran, Schreien mir Hohn in die schwindligen Ohren und schlagen mich wütend mit Peitschenstöcken über den Kopf. Qualen sind mir wie Kleiderwechsel, Ich frage den wunden Menschen nicht, wie's ihm geht, ich selber werde der wunde Mensch, Indes ich auf meinen Stock mich stütze und zuschaue, werden die Wunden brandig auf mir. Ich bin der zerquetschte Feuerwehrmann mit gebrochenem Brustbein, Stürzende Mauern begruben mich unter Trümmern, Ich atmete Glut und Rauch, ich hörte die gellenden Rufe der Kameraden, Hörte das ferne Picken ihrer Hacken und Schaufeln, Sie haben die Balken weggeräumt, sie ziehen mich sanft hervor. Ich liege in meinem roten Hemd in der Nachtluft, ringsum ist tiefes Schweigen um meinetwillen, Schmerzfrei nach allem lieg ich erschöpft, doch nicht eben unglücklich, Weiß und schön sind die Gesichter um mich, die Köpfe entblößt von den Feuerhelmen, Die knieende Schar erlischt mit dem Licht der Fackeln. Ferne und Tote stehn wieder auf, Sie sind wie Ziffernblatt und Zeiger von mir, ich selber die Uhr. Ich bin ein alter Artillerist, ich erzähle von der Beschießung des Forts, Wieder bin ich dabei. Wieder das lange Rollen der Trommeln, Wieder die Kanonen und Mörser der Feinde, Wieder in meinem lauschenden Ohr die Antwort unsrer Kanonen. Ich bin dabei, sehe und höre alles, Schreie, Flüche, Gebrüll, Jubel über gutsitzende Schüsse, Der Ambulanzen langsamer Zug mit tropfender, roter Spur, Arbeiter, die nach Schäden spähn und das Nötigste flicken, Granatentreffer ins spaltende Dach, ihr fächerförmiges Platzen, Sausende Garbe von Gliedern, Köpfen, Steinen, Holz, Eisen hoch in der Luft. Wieder gurgelt der Mund meines sterbenden Generals, wütend schwenkt er die Hand, Er keucht durchs geronnene Blut: „Denkt nicht an mich — denkt — an die Schanzen.“